Im Geschichtsunterricht von Herrn Ermis lernen wir nicht nur wichtige geschichtliche Ereignisse, wir setzen uns auch mit Themen und Prozessen der Vergangenheit auseinander.
Wir lernen, wie es zu diesen Ereignissen kam und was die Hintergründe dafür waren. Aber vor allem lernen wir, das von uns Gelesene zu hinterfragen. Wie kam es zu einem Krieg, zu „Rassen-Hass“, zur Vernichtung von Menschen? Wieso wiederholen sich solche Ereignisse wieder? Was haben wir aus der Vergangenheit gelernt?
Wir lernen aus den Fehlern der Geschichte, um solchen Ereignissen vorbeugen, besser noch, sie vermeiden zu können. Leider haben wir heutzutage größtenteils nur die Möglichkeit, aus den hinterlassenen Erzählungen, welche aufgeschrieben wurden, zu lernen. In unseren Geschichtsbüchern zu lesen. Reportagen und Filme anzuschauen. Ist die Medienrealität Realität genug?
In unserem Geschichtskurs der 12. Klasse lud unser Geschichtslehrer Herr Ermis einen Zeitzeugen des 2. Weltkrieges aus Pforzheim ein. Dr. Herbert Mohr-Mayer, Unternehmer, stellte sich den Fragen der gesamten Klasse. Der 89-jährige Großvater einer Mitschülerin berichtete am 17.01.2023 darüber, wie er den Zweiten Weltkrieg als Kind erlebte. Er wuchs mit zwei älteren und einem jüngeren Bruder in Pforzheim in der Bleichstraße als der Sohn eines Schmuckfabrikanten auf. Sein Elternhaus ist noch eines der wenigen Häuser, die stehen geblieben und nicht komplett zerbombt worden sind. Es steht neben dem Café Rodensteiner in der Bleichstraße 90.
Herbert Mohr-Mayer erzählte emotional als Zeitzeuge über viele schreckliche Momente des Krieges, als sei es gestern gewesen. Er berichtete unter Tränen, wie schmerzhaft es war, Nachbarn, Freunde (Kinder) sterben zu sehen. Mitzuerleben, wie Bomben fallen, Fliegeralarm ihn und seine Familie aus dem Schlaf reißt, im Keller in der Kälte im Winter auszuharren, zerfetzte Körper auf der Bleichstraße liegen zu sehen, blutüberströmte Mütter, Kinder aus der Nachbarschaft und wie er oft nicht wusste, wie es weitergehen soll und wann es wieder was Richtiges zu essen gibt. Er erzählt so bildhaft, als sei es gerade erst geschehen.
Einer der wichtigsten Sätze, die er sagte, war: „Ihr könnt das nicht verstehen und auch nicht nachvollziehen, wie schrecklich diese Zeit für uns war.“ Mit weinerlicher Stimme stand dieser alte Herr vor uns Jugendlichen und verlor die Fassung und seine Stimme wurde zerbrechlich und ganz leise. Herbert Mohr-Mayer berichtete von unfassbar schrecklichen Situationen, in die er, seine Brüder, seine Mutter durch Soldaten – durch die Besatzer – gebracht wurden. Von Mord, Zerstörung, Vergewaltigung, Obdachlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Kälte und Hunger. Mit seinen Schilderungen brachte er uns zum Nachdenken und löste bei vielen von uns Gänsehaut und Betroffenheit aus. Dieser 89-jährige Zeitzeuge des Zweiten Weltkrieges erinnert sich an so viele Details, und das nach 80 Jahren.
Vor diesem Mann zu sitzen, ihm zuzuhören war ein Erlebnis, welches kein Film, kein Buchtext, keine Reportage wiedergeben kann. Ein gestandener Mann, wortgewandt, gebildet, nimmt sich für uns Zeit und lässt uns so tief in seine Seele – in seine Kindheit – blicken. Schildert so detailliert schreckliche Momente seines Lebens und löst Kopfkino bei vielen von uns aus. In dieser Geschichtsstunde lernten wir nicht nur „Geschichte“, wir lernten, wie gut uns es heutzutage hier in Deutschland geht und wie unvorstellbar schlimm ein Krieg war und ist.
Während vor einigen Wochen manche noch sagten: „Wäre bei uns jetzt Krieg, würde ich für Deutschland ohne zu zögern kämpfen!“, ist nun ein Bewusstsein entstanden: „Wir dürfen es nie wieder dazu kommen lassen!“
(Anastasia Mohr)