Tanzende Gestalten von Tieren und Ungeheuern in der Dunkelheit, tot oder lebendig? Dieser Frage gehe ich seit vielen Jahren im Museum “Der vergangenen Zeiten” nach. Ein Museum, der Superlative, dass nach wie vor, seines Gleichen sucht. Mehr als 750.000 Exponate verteilt auf fünf Gebäude mit je sechs Stockwerken. Ein Museum, das alle anderen in den Schatten stellt.
Deswegen bin ich stolz darauf einer der Nachtwächter zu sein, die diese Schätze seit Ewigkeiten hüten und einen Teil dazu beitragen, sie für die Nachwelt zu bewahren. Allerdings ist der einzige Dank, den wir erhalten, ein Zurückgang der Besucherzahlen und das damit verbundene gekürzte Gehalt.
Plötzlich ertönt ein Geräusch aus einem dunklen Korridor, nahe einer Vase der Ming-Dynastie. Sofort ist meine Aufmerksamkeit geweckt. Ich spüre, wie meine Nackenhaare sich aufstellen und eine langsam anschleichende Panik mich zum Schlucken zwingt. Ich komme näher und erblicke die Silhouette eines Mannes. Ah, Thomas, ein alter Bekannter des Putzpersonals, der immer für einen ausgiebigen Tratsch zu haben ist.
“Thomas, mein alter Freund, was treibt dich hierher?“, frage ich. “Ach, weißt Du, ich hatte vorhin ein seltsames Geräusch auf dem dritten Korridor, Richtung nordindische Geschichte gehört! Dachte, einer von euch Jungs könnte sich das mal ansehen“, sagte er. “ Wenn’s weiter nichts ist, dann gute Nacht.”, antworte ich ihm.
Ich mache mich auf den Weg. Kurz vor dem Raum mit einem neuen Exponat trete ich in Glasscherben. Augenblicklich bedeckt sich mein Körper mit Angstschweiß. So etwas Ernstes ist mir in all meinen Jahren als Nachtwächter nicht unter meinen Schuh gekommen. ‘Ein Einbruch, aber wie? Die Alarmsysteme sind auf dem neuesten und modernsten Stand der Technik.’. Ich will automatisch zu meinem Funkgerät greifen. Doch dazu kommt es leider nicht mehr. Eine eiskalte Hand ergreift mich und sagt – rein gar nichts.
“Durchgeschnittene Kehle. An seinem eigenen Blut erstickt” “Herr Malcom, glauben Sie mir, so etwas wollen Sie nicht erleben. Sie haben bloß übersehen, dass er anscheinend nach seinem brutalen Mord gebrandmarkt wurde. Ein Glück, dass er bereits tot war”. “Nun gut“, sagte Malcom und stand aus seiner, das Opfer betrachtenden knienden Position auf. Malcom war ein in die Vierziger gekommener schwarzhaariger Kriminalhauptkommissar, der bevorzugt Anzüge trug und Scotch trank.
„Wonach sieht das Brandmal aus?”, fragte Malcom. „Es sieht aus wie MAPA”, antwortete ihm sein vertrauter Gerichtsmediziner Carsten Strohmann, mit dessen Hilfe der Kommissar schon einige Fälle hatte lösen können. “Nein, warten Sie …, eher wie MARA” – „Mara, irgendwo hatte ich diesen Namen doch schon einmal gehört”, Malcolm runzelte die Stirn und dachte nach. Plötzlich meldete sich eine junge Frauenstimme: „Mara symbolisiert im buddhistischen Glauben das Böse oder auch die Versuchung, ähnlich wie im Christentum der Teufel“. „Und wer sind Sie? “, fragte der Ermittler, der es nicht leiden konnte, wenn man ihn in seinen Überlegungen störte, barsch die junge Frau mit den blonden Haaren und der bernsteinfarbenen Brille. „Ich bin Historikerin und beschäftige mich hier im Museum mit Exponaten asiatischer Herkunft.” „Nun gut, dann denke ich, dass Sie der Polizei von Nutzen sein könnten, da ein Exponat mit nordindischer Geschichte gestohlen wurde. Vermuten Sie einen Zusammenhang, Frau Historikerin?”, fragte Malcolm sie nun in professionellem Ton. „Sia, wenn’s recht ist! Was wurde denn gestohlen?” fragte sie. „Meines Wissens ein vergoldeter Ast irgendeiner Pappelfeige aus Nordindien.” „Erst Mara und jetzt dieser, wie Sie meinten, Ast. Ich schätze, es handelt sich um unser neues Exponat, den vergoldeten Ast des Heiligen Feigenbaums.” „Wieso heilig?”, fragte Malcom. „Es heißt, dass der Buddha, Siddhartha Gautama, während seiner Meditationen unter eben diesem Baum die Erleuchtung fand und die Regeln der Wiedergeburt verfasste. Des Weiteren, so heißt es, trotzte er den Versuchungen von Mara, welcher versuchte, ihn mit den irdischen Begierden aus seiner Meditation zu reißen”.
„Sia, ich hoffe, die Polizei kann weiter auf Ihre Unterstützung zählen, da ich, wie Sie sehen, nicht sonderlich bewandert im Buddhismus bin. Natürlich werden Sie auch für ihre Mühen entlohnt”, meinte Malcom. ““Wissen Sie, ich hatte mir diese Woche eh freigenommen, um mal etwas von meiner Arbeit im Archiv herauszukommen, da kommt Ihre Bitte zur rechten Zeit”, merkte Sia an.
Sia und Malcom machten sich nun über eine alte Marmortreppe auf den Weg zum Büro des Direktors. Kurz vor dessen Tür hielten sie. Malcom klopfte zweimal bevor er eintrat und sagte: „Entschuldigen Sie, sind Sie der Direktor dieses Museums?” „Ja, der bin ich”, antwortete ihm eine große, muskulöse Gestalt aus einer Zimmerecke, die dunkle Augenringe hatte und sichtlich erschöpft war. „Und wer möchte das wissen?”, fragte er. „Kriminalhauptkommissar Malcom Brunecker, wenn ich kurz Ihre Zeit in Anspruch nehmen dürfte.” „Wenn’s sein muss”, brummte der Koloss”. „Nun, wie Sie wissen, kam gestern Nacht, wie die Autopsie ergab, einer Ihrer Nachtwächter ums Leben und eines Ihrer Exponate, der vergoldete Ast, wurde gestohlen. Irgendeine Vermutung, welche Person zu so einem Verbrechen fähig ist?” „Meines Erachtens nur eine. Hatten mit ihr schon einige Komplikationen.” „Und wer, wenn ich fragen darf?” „Abhaydatta Kumar, er meinte, dass dieses Exponat Raubkunst sei und ursprünglich seinem Dorf gehöre. Er hatte es schon versucht zu stehlen.” „Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Direktor. Sia, wären Sie so freundlich und überprüfen den goldenen Ast. Ich werde in der Zwischenzeit dem Verdächtigen einen Besuch abstatten”.
Malcolm machte sich auf den Weg, gab den Namen des Verdächtigen in die Polizeidatenbank ein und bekam seine Adresse. Nach einer kurzen Autofahrt stand Malcom vor der Haustür und klopfte. Keine Reaktion. Er drückte den Türgriff herunter, sie sprang auf. Eine ungute Vorahnung machte sich in ihm breit. Er ging hinein. Schlich, versuchte kein Geräusch zu machen. Dann sah er einen Fuß aus einem Zimmer ragen. Er ging in das Zimmer und erblickte eine Leiche. Seine Vorahnung bestätigte sich. Eiskalte Panik begann sich in ihm breit zu machen, doch nach all seinen Jahren bei der Polizei wusste er sie zu kontrollieren. Plötzlich blitzte etwas am Rande seines Blickfeldes auf. Er drehte sich um und stand einer vermummten Gestalt mit einem Messer in der Hand, die zustach, gegenüber. Er konterte den Schlag gekonnt und setzte zu einem gezielten Kehlkopfschlag an, der seinen Gegner direkt auf den Boden befördern würde. Dieser wich seinem Schlag jedoch mühelos aus und hechtete aus dem Haus, in einen Vorhof. Malcom nahm direkt die Verfolgung mit gezückter Waffe auf, doch als er im Vorhof ankam, war sein Attentäter bereits verschwunden. An seiner Stelle lag glühender Staub auf dem Boden, der den Namen Mara formte. Malcom war sich jetzt sicher, dass die richtige Verfolgung bereits begonnen hatte…
Edwin Wacker, 9b