Unsere Schule - Heft 33
Das letzte Jahr war in jedem Fall ein besonderes Jahr für jeden von euch und auch für jeden von uns, für uns alle. Das Jahr 2020 wird nicht nur uns allen, sondern auch ganz Deutschland, Europa, vielleicht sogar der Welt in Erinnerung bleiben. Als uns die Coro- na-Pandemie im März soweit eingeholt hatte, dass wir die Schule vorübergehend schließen mussten, da war auf einmal vieles unklar: Wird es das Abitur überhaupt geben? Wann? Und unter welchen Umständen? Diese neue Situation hat euch, aber auch Ihnen, liebe Angehörige, und uns Lehrerinnen und Lehrern viel Flexibilität und Stresstoleranz abverlangt und auch viele Nerven gekostet. Wir mussten uns ge- zwungenermaßen auf viel Neues einlassen. In persönlichen Gesprächen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, habt ihr manchmal die Angst geäußert, die Zugeständnisse, die man euch in den vergangenen Monaten gemacht hat – die Verschiebung des Abiturs, die Änderung des Korrekturablaufs –, könnten negativ auf euch abfärben. „Die haben ja eh nur Corona-Abitur“, könnte ja vielleicht jemand sagen. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass ihr mit solchen Ängsten nicht allein seid. Nach Untersuchungen der Universität Erfurt fühlte sich mehr als die Hälfte der 18-29-Jährigen während der Hochphase der Pandemie von der Situation besonders belastet – sehr viel mehr als bei der Generation 60 plus. Erklärungen wurden in der Zukunfts- angst gesehen: Wer noch mehr Zukunft vor sich hat, muss sich auch mehr um sie Sorgen machen. Diese Untersuchung war Ende März. In vier Tagen ist August. In den vergangenen vier Monaten habt ihr sicherlich viel mehr gelernt als Mathe, Deutsch und Englisch. Ihr habt gelernt, euch und euren Alltag stärker selbst zu organisie- ren; zu fragen, was habe ich schon getan, was muss ich noch tun. Ihr musstet euch in Zeiten sozialer Distanzierung auf ganz andere und neue Weise um Freunde und Familie kümmern. Ihr habt gelernt, Meinungen zu hinterfragen, eigene Standpunkte zu finden und Stel- lung zu beziehen in einem Land, das wie schon lange nicht mehr von Unsicherheit und Angst geprägt ist. Wenn euch also einmal jemand dieses Wort vorwerfen sollte: „Co- rona-Abitur“, dann nickt ihm einfach zu und sagt mit Bestimmtheit und voller Überzeugung: „Und weißt du was? Dieses Abitur hatte sogar ein Prüfungsfach mehr.“ Viele Fragen sind euch vielleicht noch geblieben: • Wie wird das Wintersemester an der Uni ablaufen? • Klappt das mit meinem Auslandsstudium? • Können wir zu zweit, zu dritt unsere lang geplante Tour durch Europa antreten? • Wird es möglich sein, fremde Kulturen und ferne Länder vor dem Antritt meines Studiums kennenzulernen? • Was wird aus meinen Zukunftsplänen? Doch, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, die Zukunft steht euch trotz allem offen! Vielleicht müsst ihr zurzeit einen kleinen Ab- stecher machen, eine Auszeit im Kreise eurer Familie nehmen, um dorthin zu kommen, wohin ihr wollt. Ich rate euch: Tretet neugierig in die Welt hinein und gestaltet diese mit Verantwortung mit. Niemals mehr werdet ihr bei Entscheidungen über euer Leben so frei sein wie jetzt und den kommenden Monaten. „We‘re gonnABI free!“ So gesehen, ist euer Motto mehr als ein Ausbruch aus dem „Gefängnis Schule“. Es ist ein Aufbruch in eine neue Welt, in eure neue Welt. Und für diesen Aufbruch wünsche ich euch im Namen des Schiller-Gymnasiums alles Gute. Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, ich lade euch ein immer wieder euer altes „altes Gefängnis“ zu besuchen. Viele eurer al- ten Wärter werden noch den Gefängnisalltag bestreiten und sich freuen euch zu sehen und euch gerne zuhören, wenn ihr von eurer Freiheit, vom Leben auf freiem Fuß, berichtet. Danke! Joachim Zuber 57
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