Unsere Schule - Heft 33

„Ein besonderes Jahr“ Jeden Juli gestalten die Schülerinnen und Schüler der Abschluss- jahrgänge eine Wandfläche in unserem Schulgebäude, auf der sie sich verewigen. Da werden sie zu Abidas, der Markenware des Schiller-Gymnasiums, oder zu Göttern auf dem Schiller-Olymp, wie in den letzten beiden Jahren. Ihr, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, habt euch zu Ausbre- chern aus dem Schiller-Gefängnis gemacht, dem Alcatraz unter den Pforzheimer Gymnasien. „We‘re gonnABI free!“ ist euer Motto. Ich fand den Vergleich eurer Schulzeit am Schiller mit einem Gefäng- nis zuerst etwas negativ, aber vielleicht, dachte ich mir dann, ist er gar nicht so weit hergeholt. Lasst mich das auch einmal versuchen: Als ihr hier ankamt – die meisten von euch im September 2012 –, wurdet ihr direkt von euren Klassenwärtern Frau Hector-Müller und Frau Gläser in eure Zellen gebracht. Die waren zwar noch etwas kahl, aber immerhin, ihr durftet sie bald mit selbstgestalteten Bil- dern oder Pflanzen ein wenig aufpeppen. Euer Tagesablauf war klar geregelt: morgens Unterricht, nachmittags Module oder AGs, vielleicht Sport. Im Unterricht musstet ihr alle möglichen Themen bearbeiten, ob ihr wolltet, oder nicht; manche fielen euch leicht, bei anderen habt ihr euch sicher auch schwergetan. Abiturrede 2020 Um 12:50 Uhr bekamt ihr in der Gefängniskantine das Essen auf die Tabletts geklatscht. Euer Freigang war strikt getaktet, aber immer- hin, ihr durftet euch austoben, beim Tischtennis in der Aula oder draußen beim Fangenspielen oder Kicken. Das ging einige Jahre so; manche von euch wurden vorzeitig wegen guter Führung entlassen, ein paar neue Delinquenten kamen auch dazu. In eurem fünften Jahr dann hat man euch etwas mehr Selbststän- digkeit zugestanden. Ihr durftet in der Mittagspause das Gelände verlassen, ein bisschen die Freiheit schnuppern und euch im Edeka den ein oder anderen Snack holen. Aber da wart ihr schon auf das Schiller trainiert; obwohl die Freiheit schon so nahe war, kamt ihr doch immer wieder zurück, mal mehr und mal weniger pünktlich. Ab und zu gab es Ausflüge sorry Freigang, zum Beispiel nach Bad Hindelang, zum Skifahren ins Allgäu oder nach St. Peter-Ording. In euren letzten Jahren dann war vieles schon lockerer. Ihr hattet mehr Möglichkeiten, eure Abläufe zu gestalten. Vielleicht habt ihr auch die ein oder andere Stunde sausen lassen. Der Zeitpunkt eurer Entlassung rückte immer näher, aber manches Mal in den letzten Wochen hatte ich sogar den Eindruck, der ein oder andere wäre auch gerne noch länger inhaftiert geblieben. Eure Entlassungspapiere, die Abitur-Zeugnisse, habt ihr euch in den letzten Jahren hart erarbeitet. Vielleicht habt ihr euch manchmal gefragt, ob ihr es schaffen könnt, habt sicher den ein oder anderen Rückschlag hinnehmen müssen, wart aber immer füreinander da, sodass sie heute jeder empfangen darf. 56

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